DISCOUNTING - Abwertungen im Businessalltag

16. Februar 2023

Dass unterschiedliche Menschen verschiedene Ansichten zu einer Situation haben ist nichts Neues und wesenskonform. Dass die Beschwerden des einen für den anderen eine andere Bedeutung besitzen, ist schon Alltagserfahrung. Wenn es um eine relevante Problemlösung im Arbeitsprozess geht, kann es allerdings zu eklatanten Missverständnissen kommen. Vor allem, wenn Probleme kleingeredet werden. Wenn eine schwierige Situation also von einer Seite hoch, von der anderen dagegen niedrig bewertet, im Extremfall sogar geleugnet wird.

Normale Abwertungen im Arbeitsalltag

In einem Fall aus meiner Praxis herrschte schlechte Stimmung im Team. Der Teamleiter nahm zwar diese Veränderungen oberflächlich wahr, mochte aber diese Vibes nicht ansprechen und negierte sie in seinem Umgang mit den Kollegen. „Das legt sich schon wieder“ war seine Selbstbeschwichtigung.

Aus dem Verhaltensmodell der Transaktionsanalyse (TA) stammt der Begriff des Discounting. Er beschreibt die Abwertung eines Problems in vier Stufen. Die Folge ist Passivität, das Problem bleibt, oft über Jahre, bestehen. Diese Abwertung oder Leugnung eines Sachverhalts entsteht meist unbewusst. Menschen mit dieser Verhaltenstendenz sind in ihrer Kindheit mit Problemen allein gelassen worden. Sie wurden von ihren Bezugspersonen als nicht wichtig, nicht lösbar betrachtet („Du schon wieder mit deinen…“). Probleme zu haben schien also nicht kompatibel mit den Werten der sozialen Umgebung zu sein und wurden fortan als nicht erwünscht verdrängt bzw. kleingeredet oder negiert.

Passivität erzeugt Missverständnisse

Die Folgen für die Kommunikation und Zusammenarbeit im Businessalltag können enorm sein, auf jeden Fall sind sie bekannt: übersehen, vergessen, vermeiden, herunterspielen, bagatellisieren, leugnen, bestreiten etc. Daraus entstehen Missverständnisse, es wird fehlendes Problembewusstsein unterstellt, Schuldzuweisungen, Intransparenz, Distanzierungen und Konflikte sind dann fast an der Tagesordnung.

An den vier Stufen der Abwertung kann man erkennen, welche Qualität, die das daraus folgende passive Verhalten einer Person besitzt, um angemessen darauf zu reagieren. 

 

  1. Das Problem besteht überhaupt nicht. Die Personen nehmen das Problem gar nicht als solches wahr. Sie haben keinen Zugang, keine Sensibilität für die aktuelle Lage. Es entgeht Ihnen z.B., das andere Kollegen schlechte Laune haben und dies mit ihnen oder einer Aufgabe zu tun haben könnte.
  2. Das Problem wird wahrgenommen, dessen Bedeutung jedoch heruntergespielt. Das ist doch nicht so schlimm“ oder „ Die sollen sich nicht so anstellen“, „Das sollte man nicht überbewerten“ sind typische Reaktionen auf dieser Stufe.
  3. Das Problem wird als unvermeidbar betrachtet. So wird wie in den vorherigen Stufen Verantwortung vermieden: „Das passiert nun mal“. Allerdings auch Verantwortung für die Lösung. Man kann es eben nicht ändern!
  4. Die Person fühlt sich nicht in der Lage, das Problem zu lösen. „Ich kann da nichts machen…“ drückt deren eigene Hilflosigkeit aus, meistens ohne dass sie sich dessen bewusst ist.

Auf der letzten Stufe ist nach der objektiven Geringschätzung einer objektiven Situation die persönliche Ebene erreicht. Hier, und erst dann, kann Veränderung bewusst stattfinden.

Was passiert bei Abwertungen?

Typische Verhaltensweisen dieser passiven Haltung in Form von Abwertungen sind Nichtstun, Überanpassung, Agitation und Gewalt gegen sich und andere (auch verbale).

  • Viele Mitarbeitende beschweren sich angesichts eines operativen oder strukturellen Problems über passives Verhalten der Kollegen, oft der höheren Entscheidungsebenen. „Die schauen weg/machen ja doch nichts“ hört man dann öfter. Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen, ist oft weitreichend und damit folgenreich. Wird dann ein Problem in seiner Bedeutung heruntergespielt, ist Nichtstun die Rettung. Ebenso kann diese Passivität auch als Machtdemonstration absichtlich genutzt werden. „Zappeln lassen“ heißt das mit einem volkstümlichen Begriff. Damit erhalten sich diese Personen trotz bestehender Hilflosigkeit ihre Selbstwirksamkeit, wenn auch destruktiv.
  • Wenn eine Person es jedem Recht machen will, hinter jedem Grinsen Schadenfreude, hinter Distanz Abweisung, bei hochgezogenen Augenbrauen Kritik oder gar Liebesentzug vermutet und dringend Anerkennung benötigt, wird sie alles tun, um auf diese vermeintlichen Bedürfnisse einzugehen. „Kümmern“, ein anderes Wort für diese Überanpassung, ist dann wichtiger als das Problem und dessen Lösungsmöglichkeiten anzuerkennen. Anderen ihre Wünsche von den Lippen abzulesen führt dann nur zum kurzfristigen Wohlergehen vor allem des eigenen Egos und zur Vernebelung der Sachebene und damit zielführender Schritte.
  • Ein drittes Element passiven Verhaltens wirkt paradoxerweise zunächst aktiv: Agitation meint eine Form von, z.T. leidenschaftlichem, Aktionismus. Es wird ziellos und ungerichtet irgendetwas getan, um scheinbar das Problem zu lösen. Besser Aktion als Nichtstun heißt diese Devise. Ruhelos werden z.T. übersteigert und übereilig schnelle Konsequenzen ausprobiert. Meistens sind es die gleichen, die am Problem beteiligt waren und davon oft auch mehr. Führungskräfte lassen dann schnell Arbeitsgruppen bilden ohne angemessen konkreten Auftrag. Die Personen sind oft fahrig, nervös, streichen sich z.B. immer wieder durchs Haar, kauen an den Fingernägeln, wippen mit Füßen und Beinen, trommeln mit der Hand auf allem möglichen herum… Agitation dient zunächst einer inneren Energieabfuhr ohne konkreten Plan und nicht einer wirklichen Lösung.
  • Wenn nicht akzeptierte bzw. entwertete Problemsituationen zu Handlungen führen, die Stress bei den Beteiligten erzeugen, kann die vierte mit Passivität einhergehende Verhaltensweise, die Gewalt, zum Tragen kommen. Sollte es z.B. nach entsprechend hartnäckig fortbestehender Verleugnung oder Verharmlosung zu relevanten Störungen an Maschinen oder ganzen Prozessen kommen, können Menschen gefährdet oder krank werden. Verbalattacken, z.B. in Form von Schuldzuweisungen können sowohl physische als psychische Gewalt bedeuten. Deren Schaden erzeugt möglichweise neue Gewalt in Form von Konfliktgeschehnissen. Dies betrifft bisweilen auch Gewalt gegen die eigene Person: Selbstbezichtigungen und -verurteilungen. Man glaubt, „es nicht mehr aushalten zu können“ und geht in die innere Immigration und wird krank.

Wie Sie Sie als Kollege, Chefin oder sonst Beteiligter eines abwertenden Denkens und Handelns reagieren können.

Zunächst sollte Ihnen klar sein, dass dieses Denken und Verhalten einer inneren Haltung entspringt, welche schon früh in der Kindheit geprägt wurde. Hinter den meisten Abwertungen steckt keine Absicht, andere Personen und deren Einschätzungen zu diskriminieren. Diese Menschen erleben eine Mischung von Unsicherheit und Hilflosigkeit und Angst und besitzen dadurch eine unzureichende Fähigkeit (= Resilienz), mit schwierigen Situationen umzugehen.

Hier ein paar Tipps:

  • Am besten ist es, diese Personen mit konstruktiven Reflexionen der Situation und gleichzeitig wertschätzenden Worten für die anstehende schwierige Situation zu sensibilisieren.
  • Dabei ist es zielfördernd, Fragen zu stellen, statt eigene Perspektiven und Vorschläge in den Vordergrund zu stellen: „Wie stehst du dazu?“ Statt „So ist es!“; "Wenn du sagst, das geht nicht anders, hast du es schon mal mit xy versucht?“ statt „Wir können es nur so machen!“ etc..
  • Denken Sie an die vier Stufen. Wo steht ihr Problempartner? Wie wertet er das Problem ab? Sie können sie in „ihrer“ Stufe gut abholen „Hast du Interesse daran, unsere Sichtweise und Lösungsansätze zu hören?“ oder, z.B. beim Herunterspielen aus dem obigen Beispiel: „Ich fühle mich unwohl mit dieser Stimmung im Team. Um uns und Ihnen die Arbeit zu erleichtern, sollten wir uns zusammensetzen und darüber sprechen. Was meinen Sie dazu?“ oder „Auch wenn du das anders siehst…Was könnte dich bewegen, uns zuzuhören?“
  • Fragen können helfen, Aspekte, die der Betreffende auf der jeweiligen Stufe ausblendet, sichtbar zu machen.
  • Denken Sie stets daran, dass ein zu forsches Auftreten bzw. eine Haltung des Besserwissens („Ich habe die Lösung, für die du blind bist“) für Widerstand sorgt und die Ausblendung oder Abwertung eher steigert.

Und wie ging es nun im obigen Fallbeispiel weiter?

Der Teamleiter befand sich mit seiner Äußerung in der zweiten Stufe der Abwertungskaskade. Er hat zwar gemerkt, das etwas nicht stimmt, es aber beiseitegeschoben. Er wollte es aussitzen. Hier war es zunächst für mich und die Beteiligten wichtig, folgende Aspekte zu klären:

  • Welche Bedeutung hat dieses Problem?
  • Für wen?
  • Wer hat ein Interesse daran, dass dieses Problem bestehen bleibt?

Daraus wurde ein Vorgehen entwickelt, dass den Teamleiter in einer Teambesprechung mit den Auswirkungen auf Leistung und Ergebnisse und mögliche Krankheits- und Kündigungstendenzen konfrontierte. Gleichzeitig hat das Team ihm wertschätzend die Möglichkeit gegeben, sich mit seiner Haltung zu öffnen und sein bisheriges Verhalten zu begründen. Damit wurde ihm ermöglicht, sein „berechtigtes Interesse“ zu äußern, sich und andere vor Auseinandersetzungen zu schützen,

Sollte die dritte oder vierte Stufe erreicht sein, also das Problem von einer Person als unvermeidlich oder für nicht lösbar gehalten werden, kann es nützlich sein, Problemlösungen aus der Vergangenheit heranzuziehen, die Ressourcen für das aktuelle bereitstellen können. Besonders dann, wenn es heißt „Ich kann da nichts machen…“ ist das Tor für wirksame Veränderung geöffnet. Dann sind die Personen bereit, sich Vorschläge von anderen präsentieren zu lassen und darüber gemeinsam zu beraten. In dieser Phase ist nicht mehr allein das Problem im Fokus, sondern der eigene Umgang damit, die fehlenden persönlichen Ressourcen. Natürlich braucht es auch hier eine wertschätzende, gewaltfreie Kommunikation.

Um Leugnungen und Abwertungen seitens Kollegen oder Führungskräften gegenüber herausfordernden Situationen bzw. Problemen den Stachel zu nehmen, ist es zunächst wichtig, sie nicht als Gleichgültigkeit oder gar Angriff zu werten, sondern als -oft unbewusste- Hilflosigkeit dieser Personen. Sie brauchen unsere einfühlsame und wertschätzende Unterstützung.

 

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