Plädoyer für mehr Selbstbestimmtheit.

22. August 2023

Gehören Sie auch zu den Menschen, die ungerne NEIN sagen?

  • Gehen Sie zu Partys, treffen Sie sich mit Menschen, auf die Sie keine Lust haben und ärgern Sie sich ebenso regelmäßig, wenn Sie wieder zuhause sind?
  • Nehmen Sie öfter Arbeit an, für die Sie nicht zuständig sind, keine Zeit haben oder die Sie über/unterfordert?
  • Können Sie Ihren Kunden keinen Gefallen abschlagen, obwohl Sie kein gutes Gefühl dabeihaben, z.B. gegen interne Regeln verstoßen oder es Sie zu viel Ressourcen kostet?
  • Geben Sie Ihren Vorgesetzten oder Kollegen Recht, obwohl Sie anderer Meinung sind. Und auch dann, wenn Ihre alternativen Gedanken mehr Erfolg bedeuten würden?

Klar, wir müssen alle mal Kompromisse im Kontakt mit anderen und in der Zusammenarbeit mit KollegInnen machen. Wir alle treffen mal Entscheidungen, die eher unbehaglich sind. Keine Frage! Maja Storch von der Uni Zürich spricht in ihren Büchern (u.a. „Das Geheimnis guter Entscheidungen“) zu diesem Thema von mal-adaptiven Entscheidungen, also solchen, bei denen wir ungute Gefühle hegen. Ihre Formel für ein seelisch und körperlich gesundes Leben lautet: ein Drittel aller Entscheidungen dürfen zu dieser Kategorie gehören. Bei einem größeren Anteil werden wir unzufrieden, deprimiert und auf Dauer krank. Und das bestätigen auch Studien zur Arbeitszufriedenheit und moderner Führung.

Warum ist ein NEIN so schwer?

Es kommt oft hinkend daher: angepasst (Eigentlich nicht, aber wenn’s sein muss…), angreifend (Mach dein Sch… allein) oder ausweichend (Vielleicht morgen…). Das bringt Frust auf beiden Seiten. Der verhinderte NEIN-Sager spürt eine gewisse Ohnmacht, fehlende Selbstbestimmung und -ermächtigung; das jeweilige Gegenüber eine Oberhand, es nimmt den anderen als zu wenig eigenständig und souverän wahr, dem man dann immer wieder ähnliche Anfragen, Aufgaben und Gefälligkeiten zuweisen kann. Zur eigenen Entlastung. Das alles ist den Protagonisten selten in vollem Umfang bewusst.

Grund für diesen Verzicht auf ein klares NEIN sind Ängste vor möglichen Auswirkungen:

  • nicht mehr dazuzugehören
  • den Job zu verlieren
  • keine gute Bewertung, zu wenig Anerkennung zu erhalten
  • die Karriere zu verbauen
  • im Kern: nicht geliebt zu werden!

Das NEIN entwickelt die Persönlichkeit.

Dabei kann ein NEIN ein mächtiges Mittel sein, um sich selbst besser zu fühlen und zufriedener zu leben bzw. effizienter zu arbeiten. Sie werden

  • selbstbestimmter aufzutreten
  • dadurch eine Selbstermächtigung, also eigene Macht, statt Ohnmacht zu spüren
  • für sich echte Freiheiten schaffen, statt kurzfristig durch falsche Zustimmung „erkaufte“
  • mehr Respekt von anderen erhalten.

Die Grenzen der anderen - Ein NEIN verändert auch die Umwelt.

Natürlich werden sich dann andere aus der mit Ihnen im Laufe der Zusammenarbeit geschaffenen Komfortzone ausgegrenzt fühlen. Und genau das ist der Clou: Sie haben Grenzen geschaffen, die es Ihnen ermöglichen, Ihren Mitmenschen authentisch(er) zu begegnen Weil Sie durch ein ehrliches begründbares NEIN klare Verhältnisse schaffen, wird es weniger zu frustranen Situationen und Missverständnissen kommen. Das reduziert Stress und bereichert die Arbeitsatmosphäre.

Kein NEIN ohne JA

Ein solch klares NEIN gelingt allerdings dann am besten, wenn Sie vorher ein klares JA als Alternative für Ihre Reaktion und Vorgehensweise haben. Wenn wir nicht wissen, wo wir hinwollen, kommen wir nirgendwo an. Und wenn wir uns alle Türen offenhalten, wohnen wir bald auf dem Flur. Die Konsequenz aus diesen klugen Sprüchen: wir brauchen ein klares Ziel, eine konkrete Alternative für unser NEIN. Denn erst, wenn wir ein passendes inneres Bild, ein gutes Gefühl für den gewünschten Zustand haben, können wir mit voller Überzeugung NEIN sagen. Erst wenn ich überzeugt davon bin, dass mein Kind zuhause mich braucht, wenn es mir wichtig ist, es zu unterstützen, kann ich ein deutliches „Nein“ zum Kollegen sagen, der mich um die Übernahme einer weiteren Aufgabe bittet.

Das JA zum NEIN braucht ein JA zu uns selbst!

Das erfordert zunächst ein klares JA zur eigenen Person. Ein JA zu der eigenen individuellen Persönlichkeit mit all ihren Stärken und Schwächen. JA zur klaren Absicht, das eigene Leben selbst zu bestimmen. Das ist nicht immer zu 100% möglich. Wir müssen auch kompromissbereit sein, um mit anderen Menschen wertschätzend und respektvoll zusammenzuarbeiten. Dann bedeutet dieses JA zu uns selbst, es auf jeden Fall in der eigenen Hand zu haben, uns für JA oder NEIN zu entscheiden. Das fühlt sich dann ganz anders an, als von anderen in den eigenen Entscheidungen gelenkt zu werden. Oder wie Anja Förster und Peter Kreuz schreiben: „Das JA versorgt uns mit Energie. Es gibt die Kraft, NEIN zu sagen und dabei zu bleiben…“.

Was ist Ihr JA?

Wenn Sie also Lust bekommen haben, öfter als bisher NEIN zu sagen, können die folgenden Fragen zu diesen beiden JA-Haltungen helfen, dem JA zu sich selbst und dem JA zum alternativen Handeln:

  • Was will ich wirklich? Wie will ich leben und arbeiten, um mich wohl und authentisch zu fühlen?
  • Was fehlt mir dazu? Was möchte ich bis wann ändern? Wann habe ich diese Fähigkeit schon einmal gehabt? Wie war das Ergebnis?
  • Wenn ich etwas ändere: welchen Preis bin ich bereit, zu zahlen? Auf was verzichte ich dann und ist das ok? Wie gehe ich damit um?
  • Wozu bin ich bereit, NEIN zu sagen?
  • Welche Dinge sind für mich wertvoller, stattdessen getan zu werden? Und wie stark fühle ich das?

Das JA ist eine Krafttankstelle.

Ein gutes Hilfsmittel zur Überprüfung der veränderten Haltung ist die Affektbilanz des Zürcher Ressourcenmodells.
1. Zeichnen Sie zwei vertikale Geraden nebeneinander und beschriften Sie den einen Strahl mit einem Minus, den anderen mit einem Plus-Symbol. Das jeweils untere Ende stellt 0, das obere Ende 100% dar.
2. Entwickeln Sie zu Ihrem JA einen passenden Satz, der Sie anleiten soll, es öfter als Grund für ein NEIN zu benutzen.

Eine Klientin, die z.B. wiederholt Arbeit annimmt, obwohl sie dafür keine Ressourcen mehr zur Verfügung hat, anstatt NEIN zu sagen, entwickelte dieses neue JA für eine innere Begründung in Form eines ersten Satzes: „Ich nutze meine Zeit für meine Erholung und meine Familie“.

Sie sammelte dafür Beispiele aus der Vergangenheit, die ihr gute Gefühle und innere Kraft gaben, für sich und ihre Lieben da zu sein. Dazu tankte sie weitere Stärke in Vorstellungen von gemeinsamen Unternehmungen, die sie immer wieder verschob. Diesen Satz überprüfte sie immer wieder mit der Affektbilanz. Dabei sollte sie keine (=0!) negativen Gefühle und mindestens 70% positive Emotionen empfinden. So wurde Ihre Aussage immer wieder modifiziert. Der für sie kraftvollste und ressourcenreichste Satz lautete:

„Ich bin in erster Linie für meine Familie da!“

Ohne gefühltes JA kein überzeugendes NEIN.

Das fühlte sich nicht nur im Herzen, sondern im ganzen Körper stark an. Sie trainierte ihre Vorstellungen dazu immer wieder mit Ressourcenankern, wie u.a. Familienfotos, bestimmte Musikstücke und wiederholten Gesprächen mit ihrer Familie, mit Kollegen und Freunden. So festigte sich ihre Absicht, NEIN zu sagen und sie konnte dieses NEIN in den besonderen Momenten mehr und mehr in ihren Alltag integrieren. Und die Erfolgserlebnisse ihrer ersten NEIN’s wurden selbst zu Ressourcen. Ihr Gefühl von Selbstbestimmtheit und -wirksamkeit wuchs dadurch, ohne dass sie dadurch Nachteile im Team erfuhr. Im Gegenteil: sie erhielt positives Feedback von KollegInnen, die sie bisher bemitleideten und sich über ihre neuen Reaktionen zwar wunderten und sie gleichzeitig respektierten. Die Klientin hatte nach anfänglichen Ängsten der Ablehnung nun das Gefühl, „das ich ernst genommen werde“.

Ein sowohl kraftvolles als auch kooperatives NEIN entsteht also nur dann, wenn Sie zu sich und den Alternativen JA sagen. Sie sollten es sich wert sein, sich selbst zu bejahen. Vielleicht werden Ihnen es die anderen nicht sofort danken. Nur langfristig erhalten auch Ihre Mitmenschen ein klareres Bild und authentisches Bild von Ihnen. Eine neue ehrliche Basis des Miteinanders.

 

Wollen Sie auch öfter mal NEIN sagen und trauen sich nicht? Nehmen Sie bitte hier Kontakt auf.

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