Selbsterlaubnis und Selbstermächtigung in unserer Zeit.

16. September 2022

 

Wer kennt sie nicht, die Erwachsenen-Weisheit aus Kinder- und Jugendtagen:

„Streng dich an, damit aus dir etwas wird!“

Das heißt im Umkehrschluss, dass der Mensch, dem dieser Satz mit einem zumindest nonverbal erhobenen Zeigefinger gesagt wird, bisher nichts ist. Und so kommt es bei den meisten kindlichen Empfängern dieser Botschaft auch an. Also alles tun, um etwas zu werden, etwas zu sein. Damit aus der leistungsschwachen Nullnummer ein leistungsstarkes Mitglied der Gesellschaft wird. So wichtig es ist, in dieser Gesellschaft einen wirksamen Beitrag zu leisten, so bedeutsamer ist es auch, die eigene Einzigartigkeit, Stärken und Schwächen zu würdigen. Und hier fängt die Selbsterlaubnis an, nämlich so richtig zu sein, wie man gerade ist. Und nicht darauf zu warten, dass andere den eigenen Wert bestimmen und uns zu irgendetwas ermächtigen können. Damit geben wir Macht aus unserer Hand und in die Hände anderer Menschen. Und fühlen uns abhängig und unwirksam. Hier setzt die Selbstermächtigung an.

 Was der Selbstwert mit Selbstermächtigung zu tun hat.

Selbsterlaubnis und Selbstermächtigung sind zunächst für jeden Menschen wichtig: das Gefühl, selbstwirksam zu sein und sich selbst zu erlauben, nach eigenem Ermessen zu handeln, kann das das Selbstwertgefühl  stark erhöhenund damit die eigene Identität stärken. Im Business bedeutet diese Selbstermächtigung, im Personalmanagement auch Empowerment genannt, das jemand eine gewisse Autorität erhält, in einem vereinbarten Rahmen eigenverantwortlich zu arbeiten und die dazu notwendigen Entscheidungen eigenmächtig zu treffen. Das hat hohe Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeitenden und damit auf die Arbeitsergebnisse und mithin auch der Wertschöpfung von Teams, Abteilungen und ganzen Unternehmen. Voraussetzung ist dabei jedoch, dass jeder einzelne in die Lage ist, sich selbst zu ermächtigen. Das lässt sich nicht verordnen. Somit bleibt es die Aufgabe jedes Menschen, sich selbst um seinen Selbstwert zu kümmern. Hier kommt jeder in Berührung mit der Selbsterlaubnis. Und natürlich kann jede Führungskraft dafür sorgen, dass in ihrem Team über die für die jeweiligen Aufgabenbereiche notwendigen Selbstermächtigungen für ergebnisorientiertes Arbeiten gesprochen und entsprechende Vereinbarungen mit ihr getroffen werden.

Auswirkungen fehlender Selbsterlaubnis

Um zu verdeutlichen, welche Bedeutung und Auswirkungen Selbsterlaubnis und -ermächtigung haben, dienen zwei Beispiele aus meiner Coachingpraxis:

  1. Ein Geschäftsführer beschwert sich darüber, dass ein Lagerist zu wenig „mitdenkt“ bzw. selbstständig für eine bestimmte Ordnung sorgt. Ich frage ihn, ob der Mitarbeiter weiß, dass er in einem bestimmten Rahmen eigenständig entscheiden kann. Das sei eine gute Frage, lächelte der Geschäftsführer mich an. Die könne er nicht wirklich beantworten, seine Vermutung sei: Nein. Die Befragung des Lageristen ergab, dass er Angst davor habe, Fehler zu machen. Der für den Bereich zuständige Abteilungsleiter würde zudem sehr streng sein, sodass er sich diese Freiheiten nicht herausnehmen wolle.  

Hier treffen Ursache und Wirkung aufeinander. Wenn ein Mensch schon als Kind und Heranwachsender und später als Auszubildender und Arbeitnehmer wiederholt lernt, dass er erst „etwas werden muss“, bevor er eigenständig denken und handeln kann, wartet dieser Mensch oft bis ans Lebensende auf Anweisungen. Selbst wenn er für den betreffenden Kontext die brauchbareren Ideen und Kompetenzen hat. Der direkte Vorgesetzte konnte dann in einem den Mitarbeiter ermächtigenden Gespräch die Mißverständnisse klären und Vertrauen in dessen Selbstwirksamket herstellen.

  1. Ein Coachee kam zu mir, um primär Orientierung für sein weiteres berufliches Leben zu erhalten. Dazu war es wichtig, seinen Selbstwert zu stärken. In diesem Zusammenhang beschrieb er immer wieder Situationen, in denen er verärgert und auch verletzt war, weil sich andere Personen nicht so wie erwartet verhalten hatten. „Wieso können die nicht rechtzeitig auf meine Nachricht/Bitte/Hinweise antworten?“ Er hatte gelernt, niemandem „auf den Keks zu gehen“. Denn er sei nicht so wichtig. Das hatte er ebenfalls in einer traumatischen Kindheit sehr früh gelernt.

Anstatt also bei den Empfängern nachzuhaken, damit eigeninitiativ zu werden, erwartet der Coachee eine „Auftragstreue“ von den anderen. Möglicherweise ist die Botschaft des Senders (also seine) bei den Empfängern nicht als ebenso wichtig angekommen, wie er es sich vorstellte. Da er sich selbst für unwichtig hält, ist das bei der Analyse seiner Kommunikation auch offensichtlich geworden. Somit fehlte ihm die Selbsterlaubnis, nachzufragen. Damit seine leicht verletzliche Welt wieder stimmte, gab er abwechselnd entweder sich oder anderen die Schuld an diesem Zustand. Indem der Klient seinen eigenen Anteil an seiner Kommunikation und Erwartungen an andere erkennt und sich auf Situationen besinnt, in denen er eigeninitiativ gehandelt hat, kann er seine Opferhaltung verlassen und zum Handelnden werden. Sie selbst also erlauben andere von seinem Anliegen zu überzeugen. 

Erlauben Sie sich selbst etwas!

Wie oben im zweiten Fallbeispiel geschildert hängt die Fähigkeit, sich selbst bestimmte Handlungen zu erlauben, stark von dem aktuellen Selbstwert ab. Der wird meistens in der Kindheit stark geprägt, kann allerdings durch z.B. bestimmte ressourcenstärkende Umstände angehoben werden.  Im Sinne eines Buchtitels "Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit“ können wir uns auf das konzentrieren, was uns damals und im weiteren Verlauf unseres Lebens stolz gemacht und uns weitergebracht hat.  Und welche Umgebung, welche Menschen, Fähigkeiten, Ideen , inneren Bilder und Emotionen uns gutgetan haben. Das alles läßt sich wieder für aktuelle Situationen reaktivieren.

Bevor wir also darauf warten, dass andere, z.B. die Führungskraft, uns eine Erlaubnis erteilt, können wir uns mit einigen Strategien selbst ermächtigen, dieses Anliegen vorzutragen. Auch hier gilt eine essenzielle Voraussetzung des Anwenders: Ich möchte mich endlich besser, was eben auch heißt:  kompetenter fühlen!

Der Selbsterlaubnisschein. 1)

Das Ziel ist, dass wir uns selbst wieder mögen. Wir können damit beginnen, uns einen Selbsterlaubnisschein auszustellen. Der könnte z.B. folgende Inhalte haben:

  • Ich erlaube mir, auch „komische“ Entscheidungen zu treffen und mit den Konsequenzen zu leben.
  • Ich erlaube mir, Dinge zu tun, auf die ich hinterher nicht stolz bin. Und daraus zu lernen, dass ich es nicht noch einmal mache.
  • Ich erlaube mir, mir Mut zu machen, wenn ich Angst habe.
  • Ich erlaube mir, mich selbst immer öfter gut zu finden.
  • Ich erlaube mir, meine Ecken und Kanten, Fehler und Schwächen zu mögen.

Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt, Sie kennen sich selbst am besten. Und wissen, was Sie sich noch nicht erlauben. Wenn Ihr Erlaubnisschein fertig ist, unterschreiben Sie ihn - das schafft Verbindlichkeit -und nehmen ihn zusammengefaltet immer mit, z.B. in Ihrer Brieftasche, der Handtasche etc.

Das Gute.

Wir besitzen eine, auch evolutionsgeschichtlich sinnvolle, Negativdominanz. Soll heißen: die meisten Menschen empfinden Negatives in ihrem Leben stärker als Positives. In der Erziehung wird das verstärkt. Und im Arbeitsleben wird mehr Zeit dafür verwendet, Fehler zu beleuchten, statt Gelungenes zu würdigen.

Es gibt einen Trick, mit dem wir unsere Negativdominanz zurückdrängen können:

Setzen Sie einer Negativerfahrung stets einen Stärkegedanken entgegen. Wenn Sie also denken: „Blöd, jetzt habe ich die Arbeit vermasselt“ können Sie das weder ändern noch in den meisten Fällen schönreden. Denken Sie dann an eine Aufgabe, die ihnen gelungen ist. Das kann auch ein anderer Kontext sein. Was haben Sie in der letzten Woche gut gemacht? Am besten machen Sie das anfangs schriftlich jeweils 10 Minuten pro Tag. Bis es zur Routine wird. So ermöglichen Sie Ihrem Hirn, immer wieder neue Verknüpfungen zu bahnen, die mit freudvollen Gefühlen verbunden sind. Und darum geht es!

Das innere Kind schaukeln.

Diese Übung aus dem Buddhismus kann unseren Selbstwert auf fast schon wundersame Weise heilen. Wenn Sie mal emotional durch den Wind oder aufgewühlt sind, sich gerade über sich selbst ärgern oder überhaupt eine Form von negativen Gefühlen spüren.

Stellen Sie sich vor, das negative Gefühl wäre ein Säugling, den Sie im Arm tragen. Sie versuchen, dieses kleine Bündel zu beruhigen, indem Sie dieses Gefühl langsam hin- und herwiegen. Sagen Sie diesem Gefühl beruhigende Dinge. Wie bei einem Säugling eben. Zwei bis drei Minuten lang beruhigen Sie Ihr Gefühl in Form dieses Bündels.

Fremdbestimmung oder Selbstermächtigung?

Das klingt vielleicht seltsam und wirkt möglicherweise einfach. Wie bei allem, was wir und andere uns an Glaubenssätzen und Verhaltensweisen antrainiert haben, können wir es wieder abtrainieren. Nur das braucht Zeit, Geduld und vor allem den festen Willen, aus der Fremdbestimmung auszubrechen und bereit zu sein, sich so zu lieben, wie man ist. Daraus entstehen dann nach und nach eine immer größer werdende Selbsterlaubnis und eine souveräne Selbstermächtigung. Sie können dann Erfolge und Reaktionen ernten, die Sie wiederum darin bestärken, sich selbst mehr Frei- und Entscheidungsspielraum zu gestatten und mehr Selbstwirksamkeit in Ihrem Leben bzw. bei Ihrer Arbeit zu genießen. Viel Erfolg damit, Sie selbst zu sein!

Lesen Sie dazu auch den letzten Beitrag vom Juni „Die Kunst, so zu sein, wie Sie sind: Die Kunst, so zu sein, wie Sie sind. (ressourcentraining.org)

 

Wenn Sie an Ihrer Selbsterlaubnis arbeiten wollen, melden Sie sich gerne hier:

 

1) Die Tipps habe ich etwas abgewandelt von Ralf Senftleben übernommen.

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