16. Februar 2022

Was vielleicht auf den ersten Blick kitschig klingen mag, wird im täglichen Umgang miteinander immer augenscheinlicher. Wir Erwachsenen denken, dass wir keine Kinderohren mehr haben. Dass wir nicht mehr wie Kinder leben. Dabei haben wir das innere Kind jederzeit in uns. Im Bewusstsein ist es meist abgespalten, die Kinderohren hören allerdings unbewusst alles mit. Und wir fühlen und handeln danach. Da können wir noch so erwachsen tun. Was heißt das eigentlich: erwachsen? Wir sind in erster Linie nicht nur aus den Kinderschuhen herausgewachsen, sondern gleichzeitig aus all unseren natürlichen Potenzialen, dem unbändigen Entdeckerdrang, dem unverfälschten, neutralen Betrachten der Welt und dem ehrlichen Bedürfnis, unsere Gefühle zu äußern. Wir sind unserem ursprünglichen Wesenskern nicht er- sondern entwachsen!

Die Bedürfnisse nach den im Bild beschriebenen Rückmeldungen, der Hunger nach diesem Futter für unsere Seelen ist aber nicht verschwunden. Ich habe über das Wesen unserer inneren Kinder in der Businesswelt schon hier geschrieben:

Wann und wie oft hören wir in Anlehnung an die Bedürfnisse der Kinderohren wertschätzende Äußerungen von unseren Mitmenschen in unserem Alltag? Von Vorgesetzten, Kollegen, Freunden, Partnern?

Wie oft passiert es,

  • dass wir gemocht bzw. geliebt, einfach so angenommen werden, wie wir sind?
  • dass andere an uns glauben, uns etwas zutrauen, unseren Fähigkeiten vertrauen?
  • dass wir etwas gut können, andere mit uns zufrieden, von uns begeistert sind?
  • dass wir etwas Besonderes sind, unsere Einzigartigkeit gewürdigt wird? Und wie oft erkennen wir sie selbst?
  • dass andere stolz darauf sind, uns zu kennen und das auch benennen können?

Wie oft passiert Ihnen das? Bitte schreiben Sie mir gerne dazu. Haben Sie Tipps dazu? Hier sind ein paar Kinderohr-Schmeichler mit Hinweisen zum Ausprobieren, besonders im Business-Alltag. Damit wir wieder mit unseren Kinderohren und -herzen in Kontakt kommen.

 

Wertschätzung 1: Ich hab‘ dich lieb.

In der oft notwendigen professionellen Distanz einer Arbeitsbeziehung könnte eine zu direkte Sympathiekundgebung mit diesen Worten falsch ankommen. Abstrahiert bedeutet es für mich gleichzeitig, dass ein „Ich mag, wie Sie arbeiten“, am besten mit einem konkreten Hinweis, oder „Ich finde es toll, wenn du XY tust/ sagst/… etc.“, zur passenden Zeit am richtigen Ort, mehr Zufriedenheit gibt und ggf. weiteres Engagement auslöst. Als Führungskraft sollte man diese Dinge unter vier Augen aussprechen und erst dann im Team, wenn eine Rollenklarheit besteht und die unterschiedlichen Kompetenzen, Fähigkeiten und Funktionen von allen akzeptiert sind.
Diese Art Wertschätzung kann auch gut im Team trainiert werden. Veranstalten Sie eine Feedback-Runde, bei dem jeder dem anderen sagt, was er an ihm/ihr in der Zusammenarbeit als Kollege und Mensch schätzt: Mit „Was ich an dir mag, ist…“ sollte jede Aussage beginnen. So gewöhnen wir uns auch an dieses wertschätzende Wording. Es können auch regelmäßige „Weeklys“ stattfinden, in denen für ein paar Minuten jedem Teilnehmer in einem Satz mitgeteilt wird, was dieser in dem abgelaufenen Zeitraum besonders gut gemacht, was er bewirkt, wie zugearbeitet, was ihm besonders gelungen ist, was seine Tätigkeit ausgemacht hat etc.

Wertschätzung 2: Gut gemacht!

Wie im vorigen Wertschätzer „Ich hab‘ dich lieb“ erwähnt, können Feedbackrunden, z.B. in Form von "Weeklys" dazu beitragen, die Lobkultur zu festigen.

Darüber hinaus können spontan Posts mit einem „Gut gemacht“-Kompliment an die Arbeitsplätze geheftet werden. Das können Kollegen: innen untereinander offen oder als schöne Überraschung während der Abwesenheit der Empfänger tun. Es ist auch eine hervorragende Geste von Führungskräften, ihre Wertschätzung auf diese, schriftliche und originelle Art auszudrücken. Wie Kinder ein Lob benötigen, um ihren Selbstwert zu formen und sich selbst zu würdigen, brauchen auch Erwachsene diesen Katalysator, um Selbstwirksamkeit zu entwickeln.
Wichtig dabei sind folgende Dinge:

  • Bitte sind Sie beim Gut-gemacht so konkret wie möglich. „Ihr Bericht hat die Vorzüge der aktuellen Marketingstrategie für XY klar mit Fakten belegt. Danke!“ ist weitaus wirksamer als „Toller Bericht gestern“ oder „Danke für Ihren Bericht“. Die Details bestärken die Mitarbeitenden bzw. Kollegen in deren Vorgehensweise. Alles andere wird schnell zu einer wirkungslosen Lobhudelei.
  • Verwenden Sie ein Gut-gemacht- Lob gut dosiert. Bei inflationärem Gebrauch wird es zu einem sich abnutzenden Ritual, das keiner mehr ernst nimmt.
  • Ein optisch oder noch besser: haptisch ausgedrücktes Gut-gemacht ist persönlicher als ein nur gesprochenes. Es lässt sich nicht nur im direkt gemeinten Sinne besser fassen. Der Ausdruck wird zu einem wirksamen Eindruck.

Wertschätzung 3: Ich bin stolz auf dich.

Leider wird Stolz in unserer Kultur oft zu schnell mit Hochmut verwechselt. Dabei ist es für den Selbstwert eines jeden wichtig, sich selbst anzuerkennen, sich mit seinen Stärken und Schwächen, mit den eigenen Fähigkeiten, Kompetenzen und Erfahrungen zu mögen und seine Erfolge als Bestärkung der eigenen Leistung für ein gemeinsames Ziel zu feiern. Erst dann entsteht Würde. Und für mich ist das ein viel passenderer Begriff. Um andere Personen zu würdigen, ist es immens wichtig, ihnen gegenüber auszudrücken, was ihr Tun, ihre Ideen, ihre Eigenschaften etc. im Rahmen des Miteinanders bei uns bewirkt. Was uns beeindruckt. Dazu ist es notwendig, dass besonders Führungskräfte wieder anfangen, die Leistungen ihrer Teammitglieder in den Vordergrund zu stellen und zu würdigen. Die vielbeschworene WIR-Kultur muss die hierarchieimmanente ICH-Bedeutung ablösen. Das erfordert, wen wundert’s, eine Veränderung in der Haltung. Und oft eine Ablösung von einer Egozentrik, welche Führung von Menschen eher behindert als nutzt. Erst dann können alle mit Überzeugung stolz auf sich und andere sein.

Fragen dazu zur Reflexion sind:

  • Wie oft waren Sie stolz auf Ihr Team oder Ihre Kollegen: innen? Und wie oft haben Sie es ihnen gesagt (nicht geschrieben!)?
  • Was hindert Sie gerade daran, stolz zu sein? Sowohl auf sich selbst als auch auf andere?
    Welche Glaubenssätze sind hier maßgeblich? Was können Sie daran ändern?
  • Wann waren Sie das letzte Mal stolz? Wie sind Sie damit umgegangen? Haben Sie es allein genossen, mit anderen besprochen? Oder sind Sie dann zur Tagesordnung übergegangen? Hat eine innere Stimme Ihnen gesagt „Sei nicht so überheblich!“?

Probieren Sie ruhig mal eine Feedbackrunde mit der Frage „Worauf waren Sie in der letzten Zeit stolz?“. So kommt das Gefühl wieder zu einem besseren Ruf. Und hebt die Selbstwerte der Teammitglieder und damit den Wert des ganzen Teams.

Wertschätzung 4: Schön, dass es dich gibt.

Wie oft hören und noch wichtiger: spüren Sie, dass sie gerne gesehen werden? Und wie oft zeigen Sie dies anderen Menschen? Freuen Sie sich, bestimmte Personen in Ihrem Umfeld wiederzusehen? Den Kollegen? Den Chef? Den Mitarbeiter? Und wenn ja, sagen Sie es diesen Personen auch ins Gesicht?
Wenn Ihnen eine bestimmte Verkäuferin, ein Busfahrer sympathisch ist, reden Sie nicht nur Dritten gegenüber davon. Sagen Sie es bitte diesen Menschen. Studien haben gezeigt, dass eine derartige Wertschätzung anderer, vor allem auch fremder Menschen, nicht nur denen guttut, sondern auch für das eigene Wohlbefinden sorgt. Kein Wunder: wir sind qua unserer Evolution eben Herdentiere! Diese Wirkung auf andere steigert nicht nur unser Selbstwertgefühl, es dient nicht nur unserer Würde, sondern auch unserem Immunsystem.

Also sagen Sie häufiger zu Ihren Mitmenschen, so es denn stimmig ist, dass Sie sich freuen, sie zu sehen. Und noch besser: nennen Sie den Grund. Ist es die angenehme Art, die Stimme, der Dialekt, die Freundlichkeit, der gute Service…? Dann wissen die Zuhörer, was genau an ihnen gefällt. Sonst wird es zu einem Ritual, wie „Wie geht’s?“, das schal ankommt. Und Sie werden merken: je mehr sie anderen sagen, was Sie an ihnen mögen, worüber Sie sich freuen, je besser geht es Ihnen selbst. Je mehr mögen Sie auch Sie sich selbst! Wie innen, so außen. Und umgekehrt! Und je mehr werden Ihnen auch die anderen Menschen ihre Freude gegenüber ausdrücken. Das ist nicht nur spirituell zu erklären, sondern inzwischen auch neurowisschenschaftlich durch die Entdeckung der Spiegelneurone in unserem Gehirn.

Wertschätzung 5: Du bist etwas Besonderes

Wie oft hören Kinder, dass man sie als Geschenk empfindet? Als etwas ganz Besonderes. Aus dem gleichen Grund, der den authentischen Stolz aus der Kommunikation verbannt hat, wird die Einzigartigkeit der uns umgebenden Personen verleugnet: bloß keine Angeber züchten! Warum eigentlich nicht? Im Wertequadrat von Helwig würde der neutrale Pol von „Angeber“ „Selbstliebe“ heißen. Nur wer sich selbst liebt, sich schätzt mit allen seinen Ecken und Kanten, kann auf andere auch neutral und wertfrei zugehen. Daher sollten wir, wie übrigens bei allen hier genannten Wertschätzer-Impulsen, erst einmal bei uns anfangen. Mit Fragen wie „Was macht mich aus?“, „Was kann ich zum besseren Leben auf dieser Welt, zu einem wirksamen Miteinander beitragen?“ können wir eigene Alleinstellungsmerkmale erkennen. Und mit den gleichen Fragen andere ermuntern, es ebenso zu tun. Für die Arbeit in Teams bedeutet das z.B.:

  • Jeder kann wertfrei eine Inventur seiner Stärken vornehmen.
  • Jeder sollte es wagen, ein Alleinstellungsmerkmal, eine persönliche USP zu formulieren.
  • In einem Austauschprozess können diese Fähigkeiten, Eigenschaften und Kompetenzen in Rollen für die Zusammenarbeit und, konkreter, für Aufgaben und Projekte bestimmt werden. Rollenerwartungen in Teams gibt es sowieso, ganz automatisch. Also ist es besser, sie gleich offen zu besprechen! Das erhöht die Akzeptanz enorm.
  • In Feedbackrunden können Rollen abgeglichen, modifiziert und ggf. neu vergeben werden.

Wertschätzung 6: Ich glaub‘ an dich.

Jeder, der Kinder hat, erlebt wohl Ähnliches:
Ich merke es immer wieder an meinem kleinen Sohn, wie Vertrauen in eine seiner Fähigkeiten, Aktionen und Ideen ihn in seinem Vorhaben bestärkt. Wenn er z.B. auf einen Baum klettert, schaue ich nur aufmerksam zu…und beobachte, wie er selbst seine Grenzen kennt. Dann bestärke ich ihn und lobe seine Vorsicht. Wenn er etwas Neues und vielleicht auf ihn kompliziert Wirkendes malen oder bauen möchte und sagt „Ich kann das nicht“, helfe ich ihm nicht sofort, sondern animiere ihn, einfach anzufangen. „Egal, was dabei herauskommt: mach einfach!“ sind meine Worte. Und siehe: er kann es. So, wie er es machen will. Und dabei helfen Beispiele aus der Vergangenheit, bei denen er auch zunächst dachte, er könne es nicht und dies dann doch geschafft hat.

Und in Unternehmen erlebe ich oft das Gegenteil:
Es werden Schuldige gesucht, statt Lösungen. Fehler werden verurteilt statt als Lernschritte betrachtet. Ideen werden zeitraubend nach perfekter Umsetzung abgeklopft, anstatt sie mehr spielerisch auszuprobieren. Und wenn gleichzeitig offiziell Partizipation und Agilität propagiert und dann alles weiterhin top-down gemanagt wird, entsteht alles andere, nur kein wirkliches Gefühl des Vertrauens. Und dann wundert die Hierarchie sich, wenn Mitarbeiter verunsichert sind und lieber andere machen lassen, anstatt eigenverantwortlich zu handeln.

Meine Ideen dazu:

  • Besprechen Sie Ziele und Aufgaben mit Ihren Mitarbeitenden bzw. Kollegen möglichst kooperativ und wenig direktiv.
  • Als Führungskraft ist es Ihre Aufgabe, zu erkennen, was welche Mitarbeitende können und wer in welchen Bereichen gefördert werden muss. Das betrifft auch die Einordnung, wer mehr Spielräume benötigt und -mit guten Gründen- erhält.
  • Überlegen Sie sich, wie Sie Ihre Zweifel z.B. zu den Projektbeteiligten, ausräumen lassen. Welche Garantien benötigen Sie? Wie groß ist der Rahmen, den Sie dem eigenständigen Arbeiten des Teams oder einzelnen Kollegin: innen zugestehen und wie kommunizieren Sie ihn, um Vertrauen auf beiden Seiten herzustellen?
  • Fragen Sie die Anderen, was diese für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit benötigen. Und teilen Sie ihnen mit, was Sie dazu brauchen. Entwerfen Sie gemeinsam Notfallpläne, um bei entsprechenden Schwierigkeiten adäquat zu kommunizieren, ggf. zu unterstützen.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit diesen Anregungen. Und ich hoffe, Sie haben den Mut, wieder an Ihr inneres Kind zu denken und dessen Ohren zu schmeicheln. Dann geht es nicht nur Ihnen gut, sondern Sie erreichen auch die Ohren und Herzen Ihrer Mitmenschen. Auch im Business hören wir noch wie früher mit Kinderohren und spüren mit unseren Kinderherzen.

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