Wie die Perspektiven der anderen zu Spiegeln und Kraftquellen werden können.

1. August 2024

Vor einigen Tagen las ich einen Beitrag, in dem von anderen geäußerte Kritik als „negative Stimmen“ bezeichnet wurde. Beim weiteren Nachdenken darüber hat mich dann die Konnotation ‚negativ‘ sogar gestört. Ich möchte die Kritik in ihrer konstruktiven Form aus dieser Bewertungsecke herausholen und sie als eine Quelle der Inspiration und Weiterentwicklung hervorheben. Gerade in der aktuellen Gesellschafts-und Unternehmenslage scheint es mir wichtig, andere Optionen und Perspektiven als Ergänzung und Vervollkommnung der eigenen Vorstellungen und als wichtiger Spiegel der individuellen Zweifel und Ängste zu betrachten und zu nutzen.

Kritik ist nicht gleich Kritik- es kommt auf die Bedingungen an.

Klar kommt es darauf an, wie Kritik geäußert wird. Der Ton und die Wortwahl machen die Musik. Die Beziehungsqualität zwischen Kritiker und Empfänger und die Persönlichkeitsstruktur beider Protagonisten ebenso. Letzteres spielt eine große Rolle dabei, ob eine Kritik beim Empfänger als berechtigt empfunden wird oder auch nicht. Und weil hier sehr oft eine Diskrepanz besteht, werden unterschiedliche Perspektiven ebenso oft nicht als Aussage empfunden, sondern als Angriff auf die eigene Person.

Letztendlich ist Kritikfähigkeit eine Frage der Erfahrungen, die wir damit schon früh in der Kindheit gemacht haben. Unsere Glaubenssätze über uns und die Welt bestimmen auch darüber, wie wir mit Kritik und den uns kritisierenden Menschen umgehen. Die Inhalte sind zweitrangig.

 Kritik in der Praxis - Fallbeispiel 1: Bewerbungsmanagement

Ein arbeitsloser Klient kam nach mehreren Absagen zu mir ins Bewerbungscoaching. Er beklagte, dass er die „Leute dort“ in den Unternehmen nicht verstehe. Ohne „genau zu prüfen“ bzw. „zum Kennenlernen einzuladen“ würden sie ihm eine unpersönliche Absage erteilen. Im weiteren Verlauf unserer Arbeit kam auch die gleichen Situationen mit unterschiedlichen Vorgesetzten in verschiedenen Firmen zur Sprache. Sie würden ihn ständig in seinen Fähigkeiten unterschätzen und dauernd "reinreden“. Er empfand Kritik in vielen verschiedenen Ausprägungen als persönliche Ablehnung. Auch von Menschen, die ihn, wie die Personaler, gar nicht kannten und seine Bewerbungen nicht berücksichtigten. Hier waren Glaubenssätze, wie „Ich bin nichts wert“ und „Niemand gibt mir eine Chance“ im Vordergrund. Das wurde durch das Familienportrait auch bestätigt.

Kritik oder Geplänkel eigener Glaubenssätze?

Kritik empfand mein Klient als Abwertung. Hier konnten im Coaching von ihm Ressourcen gefunden werden, die ihn stärkten, auch für das nächste Vorstellungsgespräch, das ihm einen neuen Job bescherte. Und der Glaubenssatz „Niemand gibt mir eine Chance“ konnte, angelehnt an „The Work“ von Byron Katie, umdefiniert werden zu „Ich gebe mir eine Chance“ und „Das Leben gibt mir alle Chancen“. Denn die Arbeitslosigkeit und die vielen Absagen können dazu beitragen, dem Berufsweg noch einmal eine neue Richtung zu geben. Beide Coaching-Ansätze führten dazu, ohne Grübeln über die eigene Unzulänglichkeit, die ja nur von außen „eingepflanzt“ wurde, dass er wieder besser ein- und durchschlafen konnte. Ein sicher extremer und gleichzeitig typischer Fall von dem Zusammenspiel eines früh etablierten inneren Kritikers, der ins Außen auf alle möglichen Personen und Situationen projiziert wurde.

Kritik in der Praxis - Fall 2: Präsentation während einer Teamsitzung

Bei einer Teamsitzung eines Vertriebsteams, an der ich als Supervisor teilnahm, wurde z.T. deutliche Kritik an einer Präsentation einer Kollegin geübt, die sich viel Mühe gemacht hatte, neue Vertriebskanäle auf Social Media-Plattformen zu erkunden. Die eher etwas älteren Kollegen fanden diese Ideen zu progressiv, weil sie den direkten Kundenkontakt für ihr lange im Markt befindliches Produkt für unersetzlich hielten. Sie argumentierten, dass ihre Kunden für neue Vertriebswege nicht empfänglich seien und diese Plattformen doch eher einen zweifelhaften Ruf hätten. „Das wertet unsere Produkte und auch das ganze Unternehmen ab, wenn wir jetzt auf Instagramm und TikTok mitmachen.“ war der etwas ärgerlich und gleichzeitig sachlich vorgetragene Tenor der Kritik. Die viel jüngere Kollegin, die auch noch nicht so lange im Team war, reagierte zunächst irritiert und konterte dann mit Gegenargumenten der Sorte: “Wenn wir nicht das jüngere Publikum ansprechen, gibt es keinen Zuwachs.“ und „Wenn ihr nicht mit der Zeit geht, werdet ihr auch nicht mehr erfolgreich sein.“ Sie nahm also die Verteidigungsposition ein. Ein Pingpongspiel von Argument und Gegenargument nahm seinen langen Lauf. Das passiert immer dann, wenn Menschen sich zu sehr mit ihren Ideen identifizieren. Dann bauen sie einen Schutzwall um diese Idee, als wäre es ein Angriff auf ihre Burg, auf ihre Person.

Kritik oder Spiegel eigener Defizite?

Im Einzelgespräch mit ihr stellte ich später fest, dass die Kollegin schon bei der Vorbereitung nicht sicher war, ob diese Vorschläge bei allen Teammitgliedern ankommen. Gleichzeitig hatte sie sich so intensiv auf ihre Präsentation vorbereitet und aus ihrer Sicht alle Argumente für einen Erfolg der neuen Vertriebskanäle gesammelt. Sie wollte unbedingt beweisen, dass ihre Ideen marktfähig sind und das Produkt und Unternehmen weiterbringen. Sie hatte alles so gut vorbereitet…. und dabei nicht berücksichtig, dass ihre eigenen Zweifel noch im Raume standen. Doch statt diese zu bearbeiten und so gut es geht zu entkräften, hatte sie vor lauter Selbstbegeisterung auf die Vorteile gesetzt.

Zwischen Kritik = Reiz und Reaktion liegt die eigene Befindlichkeit.

Es kommt häufig vor, dass selbst bei sachlicher Kritik die eigene Position verteidigt wird statt diese Bedenken der Kollegen als Quelle passender Alternativen zu verstehen. Und, wie in diesem Fall, als Spiegel eigener Zweifel. Besonders im Business-Kontext sehen sich die Menschen unter dem Druck des Erfolges eigener Arbeit und Gedanken. Mängel und potentielle Ablehnung werden als Niederlagen gesehen. Dabei gibt es keine perfekten Lösungen für alle. Da der Erfolgsdruck in den Köpfen der Menschen entsteht, wird auch dort auf ihn auf der Basis der eigenen Werte reagiert. Und wenn z.B., wie weit etabliert, Perfektion und Stärke hohe Werte darstellen, werden Ergänzungen oder Alternativen nur widerwillig oder gar nicht akzeptiert. Statusmanagement spielt auch eine Rolle: „Von dem lasse ich mir gar nichts sagen.“

Diese Lösungsfragen in solchen Momenten können weiterhelfen:

  • „Was an der Kritik könnte eine Ergänzung darstellen?“
  • „Was sagt mir der Widerstand über meine eigenen Zweifel? Wie kann ich sie reduzieren?“
  • Im speziellen, gleichzeitig auch klassischen, Fall: „Was an den neuen Vorschlägen kann auch die konservativen Personen begeistern?“

Kritik als Quelle neuer Ideen und persönlicher Ressourcen

Es geht also darum, Kritik als Chance, als Entwicklungsknoten, als Ergänzung und Impuls für Nacharbeiten zu betrachten. Und als Möglichkeit, eigene Zweifel, Defizite, Glaubenssätze und Antreiber zu hinterfragen. Dabei kann auch die altbekannte Formel der Wenn-dann-Pläne helfen. Prinzip: Wenn jemand xy erwidert- Was sage ich dann? Wie argumentiere ich? Welche Reaktionen sind optimal für eine konsensierte Lösung? etc.

Kritik spiegelt unsere eigenen Befürchtungen und Begrenzungen

Die Spiegel-Funktion ist nicht zu vernachlässigen. Meine Reaktion hat immer erst einmal etwas mit mir zu tun, weniger mit dem Kritiker. Wenn dieser äußere Kritiker z.B. meinen inneren triggert, sollte eine Innenschau stattfinden. Kein Schuldverhalten im Außen. Das nennt man dann Spiegelgefecht. Und das führt nie zu einer befriedigenden Lösung. Und vor allem: wir lernen dann überhaupt nichts im Sinne optimalerer Kritikfähigkeit dazu.

Im Falle der sich schlecht behandelt fühlenden Bewerberin haben die längere Arbeitslosigkeit und die wiederholten Absagen ihr selbstabwertendes Selbstbild gespiegelt, das dringend eines stärkenden „Update“ bedurfte. Im zweiten Fall ist der jungen Kollegin die Unzulänglichkeit ihrer Ideen in Form von Widerständen gespiegelt worden. Und sie hat dann selbst einerseits entdecken können, dass sie wichtige Aspekte ihrer Ideen nicht bedacht hatte und diese im Vorfeld zwar kurz erkannt, dann vor lauter Euphorie ihren Nutzenargumenten geopfert hatte.

Freuen Sie sich auf Kritik!

Natürlich kommt es immer darauf an, wie Kritik geäußert wird. Destruktive Kritik gehört zu einem anderen Kapitel. Mir geht es darum, zu beleuchten, dass Sinn und Nutzen von Kritik in großem Maße davon abhängen, als wie berechtigt der Kritiknehmer sie empfindet. Das entscheidet jeder selbst. Ob, wie es zu Anfang heißt, negative Stimmen sind oder Anregungen. Jeder ist verantwortlich für seine Reaktion darauf und deren Konsequenzen. Am besten, Sie nutzen sie als Spiegel und Kraftquelle.

Kritik als Effizienz-Booster in Unternehmen.

Und wenn wir in Unternehmen und deren Teams Kritik als Inspiration ernst nehmen statt als Einmischung oder Angriff, könnten wir viel Zeit, die für Imagekämpfe und Gewinner-Verlierer-Spielchen verschwendet wird, für konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit nutzen, die dann schnellere, tragfähige und wertschöpfende Lösungen für das Ganze zum Ergebnis haben.

 

Wenn Sie Tipps benötigen, wie Sie angemessener und lösungsorientiert mit Kritik umgehen können, meldem Sie sich bitt hier.

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