Wir brauchen Fehler, um zu wachsen!

3. April 2024

Der Untertitel ist aus unterschiedlichen Gründen ernst zu nehmen. Denn als kleine Kinder fallen wir durchschnittlich 3000-mal auf die Nase (was Leute alles ausrechnen…), bevor sie einigermaßen flüssig laufen. Daran wächst jedes Kind nicht nur im körperlichen Sinne, sondern auch in seinem Gefühl, allein etwas zu schaffen. Ganz automatisch. Ganz ohne Eingriff und Beratung von außen. Großartig, was die Natur so eingerichtet hat. Und genauso werden Produkte (weiter) entwickelt, passen sich im günstigsten Falle Unternehmen verändernden Bedürfnissen an. Sobald etwas fehlerhaft arbeitet, wird es repariert und mittelfristig verbessert. Was man bei Maschinen - wenn auch vielleicht zähneknirschend - toleriert, wird Menschen meist nicht zugestanden: dass sie Fehler machen und nicht perfekt „funktionieren“.

Fehlerkultur wird früh gelernt.

Schule lehrt uns schon früh, dass Fehler etwas Schreckliches, Dummes, negativ zu Bewertendes darstellen. Sie werden nach wie vor besonders betont und hervorgehoben. So werden die späteren Mitarbeitenden, meist bestätigt und kontrolliert von den Führungskräften, früh konditioniert, Fehler als etwas zu betrachten, was die eigene Leistung und Reputation schädigen. Es entsteht regelrechte Angst, Fehler zuzugeben und adäquat zu melden. Das führt dann oft zu Mängeln oder sogar Schäden durch verzögerte Abläufe (siehe Flughafen Berlin), unzureichenden Ergebnissen, z.B. Produkten und damit zu unzufriedenen Kollegen, Chefs und Kunden. Das dramatischste Beispiel der jüngsten Zeit ist wohl die tödlich verlaufende Kollision der Costa Concordia 2012, bei der der Kapitän die Schadensdimension herunterspielte.

Toll: ein Fehler!

Hä? Am besten werden doch keine gemacht…! Stimmt! Nur ist das in unserer komplexen Welt nicht möglich. Dabei kann es so hilfreich sein, Fehler als Helfer zu betrachten:

Ich habe vor einiger Zeit von einer Untersuchung gelesen, in der mehrere Teams in einem Krankenhaus bezüglich ihrer Erfolgsquote beobachtet wurden. Dabei wurde auch die Anzahl gemeldeter Fehler gemessen. Und, was glauben Sie, welche der Abteilungen die erfolgreichere gewesen ist? Merkwürdigerweise die mit den meisten Fehlermeldungen! Warum? Der wesentliche Parameter ist hier „gemeldete Fehler“. Denn in den anderen Teams gab es ähnlich hohe Fehlerquoten. Sie wurden nur nicht kommuniziert und damit nicht bearbeitet und abgestellt.

Einer muss Schuld haben.

Wie das Beispiel der Concordia zeigt, war es vom Kapitän fahrlässig, so spät zu handeln und die wahren Verhältnisse zum Leidwesen, vor allem der Passagiere, aber auch des Unternehmens zu vertuschen. Für die Medien und die fehlermeidende Öffentlichkeit war die notwendige Verurteilung der Deckel: Schuldiger bestraft. Alles erledigt.
Auch wenn dies ein drastisches und vor allem trauriges Beispiel ist, so kann man es prinzipiell auf alle Verantwortliche in Unternehmen, besonders die Schuldsucher unter ihnen, übertragen. So ist man im Falle der Reederei u.a. auf unzureichende Ausbildung und wenig Wertschätzung für die Mitarbeiter und dafür verantwortliche starre, egozentrische hierarchische Machtverhältnisse gestoßen. Fehlerkultur ist immer Bestandteil der Unternehmenskultur, sie ist von ihr abhängig.

 Weg von der Blame Culture

Solange Fehler als etwas „Böses“, zu Verurteilendes, als Blamage gelten bzw. von den Mitarbeitenden aller Ebenen so empfunden werden, werden sie nicht den Zweck erfüllen können, den sie im Leben seit unseren Kindheitstagen haben: uns zu helfen, etwas zu lernen. Eben zu wachsen! Uns zu entwickeln! Das gilt für Unternehmen, für Prozesse, IT-Systeme, Produkte und Dienstleistungen genauso wie auch für Zusammenarbeit im Team und der Art, zu führen. Alles, was es dazu braucht, ist eine offene Fehlerkommunikation. Führungskräfte sind in Absprache mit dem Management dafür verantwortlich, diese zu ermöglichen und zu befördern.

Wir brauchen eine Fehler-Akzeptanz

Das soll nicht heißen, aktiv Fehler zu provozieren. Ganz im Gegenteil! Es reicht, Fehler als hilfreiche Hinweise zu begrüßen. Und dann, am besten mit allen am Fehler „hängenden“ Beteiligten nach Lösungen zu suchen. Gerade bei neuen Prozessen, Produktentwicklungen, Konzepten etc. laufen die Dinge nicht immer rund. Hier können im Vorfeld Testläufe gestartet werden, so wie bei 3M oder Patagonia, bei denen Mitarbeiter aufgefordert werden, für eine bestimmte Phase zu probieren bzw. improvisieren. Da rechnet man dann mit Fehlern und ist nicht überrascht. Toyota arbeitet mit Kaizen-Tools, um systematisch Mängel zu erfassen und zu beseitigen. Und mit Methoden wie Scrum oder Design Thinking werden auch hierzulande zu einem frühen Zeitpunkt eines Entwicklungsprozesses gemeinsam mi internen oder externen Kunden Fehlerquellen ausgeschaltet.

Fehler-Denken vs. Helfer-Denken - Tipps für Führungskräfte

Vor den Tools kommt allerdings das Mindset. Vor verändertem Verhalten die veränderte Haltung. Was können Führungskräfte tun - und davor: anders denken! - damit Fehler von den Mit-arbeitenden als zu begrüßende Lernhelfer betrachtet werden? Damit sie Fehlermeldungen als Teil Ihrer sinnstiftenden Aufgaben sehen! Dazu ein paar Tipps:

Vorbild sein:

Führungskräfte sollten eine Vorbildfunktion einnehmen und die Prinzipien einer positiven Fehlerkultur verkörpern. Sie sollten ihre eigenen Fehler offen eingestehen und zeigen, dass Fehler ein natürlicher Bestandteil des Lernprozesses sind. Indem sie Verantwortung für ihre Fehler übernehmen und aus ihnen lernen, setzen sie ein Beispiel für ihre Mitarbeitenden. Das ist einfacher geschrieben als getan. Deshalb ist es wichtig, die eigenen Glaubenssätze aus der Kindheit zu hinterfragen und damit verbundene Ängste abzubauen. Ein Verlust/Nutzen-Plan ist für eine erfolgreiche Veränderung hilfreich. Auch das WOOP-Konzept hilft, eigene Hindernisse zu überwinden (dazu meinen BLOG-Beitrag Mit WOOP eigene Hindernisse überwinden (ressourcentraining.org)).

Offene Kommunikation:

Führungskräfte sind auch für eine transparente, offene Kommunikation in ihrem Team verantwortlich. Am besten, sie besprechen mit allen Mitarbeitenden die künftige Fehlerkultur. Dabei ist es wichtig, dass alle Erwartungen, auch die eigenen, deutlich und konkret auf den Tisch kommen. Bitte keine komplexen Protokolle schreiben. Wichtig ist, wann wird ein Fehler wie schnell auf welche Weise an wen gemeldet? Was ist ein Fehler im konkreten Kontext? Welche Spielräume hat jeder, dies eigenständig zu entscheiden?

„Danke schön“ für Fehlermeldungen:

Verstärken können Führungskräfte den ersten Punkt, wenn Sie sich für alle Fehlermeldungen, egal welche Konsequenzen sie nach sich ziehen, ehrlich und wertschätzend bedanken. Das bedeutet als Voraussetzung eine

Offene Feedbackkultur:

Die ist ohnehin notwendig, damit Mitarbeiter Vertrauen empfinden. Das ist das Salz in der Führungssuppe! Ohne dieses vertrauensvolle und akzeptierende Miteinander ist keine wirksame Führung, keine konstruktive Zusammenarbeit und damit auch keine effektive Fehlerkultur möglich.

Klare Aufgaben vergeben:

Oft werden Fehler gemacht, weil ungenau gearbeitet wird. Das ist nicht immer die Schuld der Ausführenden, sondern oft fehlen auch klare Definitionen oder Beschreibungen. „Das sollte doch bekannt sein“ heißt es dann ganz schnell. In einer offenen Kultur hoher Eigenständigkeit und gefühlter Sicherheit ist das wohl auch so. Deshalb ist offene Kommunikation (siehe oben) so unabdingbar! Solange ein Mitarbeiter nicht weiß, was zu tun ist und nicht nachfragen „darf“, ist er unsicher. Eine Fehlerquelle, geboren aus intransparenter Kommunikation und Aufgabenbeschreibung.

Fehlerkonferenzen etablieren:

Das muss nicht gleich wie bei Google ausarten, indem man Preise für die besten Fehler vergibt. Es ist schon sehr wirksam, z.B. mit dem Kanban-Prinzip, (anfangs) einmal wöchentlich für ein paar Minuten über die „Fehler der Woche“ zu sprechen. Eventuell schon gefundene Abhilfen werden präsentiert. Dann arbeiten entweder alle an Lösungen oder es werden Lösungssuchen delegiert und beim nächsten Treffen vorgestellt, samt schon vorhandener Ergebnisse.

Was wir von der Natur lernen können.

Zum Schluss möchte ich Sie zum Nachdenken über eine Analogie zur Natur einladen. Die Natur kennt keine Fehler. Diese sind ein Phänomen der Sprache und der manisch auf -nie zu erreichende- Perfektion getrimmten so aufgeklärten Menschheit. Für die Natur ist alles sinnvoll. Im Grunde kennt sie keinen Sinn. Sie hat ihn. Gibt es eine Veränderung an einer Struktur, wird sie als Auslöser für Anpassung genutzt. Damit ist wieder eine Kohärenz hergestellt. So war es schon immer! So sind selbst wir einmal entstanden! Wir sind ein Teil der Natur.
Mit dieser Erkenntnis wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Spaß mit Ihrer Anpassung an „Fehler“.

 

Wenn Sie Unterstützung benötigen, um Ihre Fehlerkultur zu einer Helferkultur umzuwandeln, melden Sie sich gerne hier.

Zum Seitenanfang